War das die Burg von König Artus? | Tages-Anzeiger

2022-07-15 21:21:28 By : Mr. Peter L

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Unten schlägt die Brandung des Atlantiks an die steil aufragenden Felsen der Halbinsel bei der Ortschaft Tintagel. Die Archäologen, die am oberen Rand der südlichen Klippen an mehreren Stelle graben, dort, wo der Boden allmählich flacher wird, haben kaum einen Blick dafür. Ihre ­Aufmerksamkeit gilt den Schätzen in der Erde, die sie langsam heben. Darunter kommen Mauern zum Vorschein, Gebäude mit gut erhaltenen Schieferböden, die zu einer dichten Siedlung aus dem 5. oder 6. Jahrhundert gehörten.

Mehr als 100 Gebäude standen einst auf den Klippen über dem Meer. Tintagel könnte vom Ende des 5. Jahrhundert bis zum späten 8. Jahrhundert ein wichtiger Herrschersitz gewesen sein. Zumindest unterhielten die Bewohner Handelsbeziehungen im gesamten Mittelmeerraum, wie die Ausgrabungen britischer Archäologen belegen. Sie fanden zahlreiche Überreste importierter Keramik, ausserdem kobaltblaues Glas aus Ägypten. Manche Forscher fragen sich daher: Könnte hier auf dieser meerumtosten Halbinsel nahe der äussersten Westspitze Englands einst eine königliche Residenz mit internationalen Handelsbeziehungen gestanden haben? Könnte es sich gar um die lang gesuchte Burg des legendären Artus handeln?

Um das herauszufinden, arbeiten Archäologen der Cornwall Archaeological Unit (CAU) bis zum Jahr 2020 auf der Halbinsel an der Westküste Cornwalls. Sie sind der Legende des sagenhaften Königs auf der Spur. Tintagel ist derzeit eine der spektaku­lärsten Ausgrabungsstätten in Grossbritannien, 280 Kubikmeter Erde und Gestein wurden bislang vom Team abgetragen. Die ersten Sondierungen fanden im Jahr 2015 statt, die offizielle Grabung begann ein Jahr später.

Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend. «Wir haben bereits mehr als 2000 einzelne Artefakte entdeckt», sagt der britische Archäologe Win Scutt vom English Heritage. Dazu gehören Töpferwaren, Amphoren für Öl und Wein, Glas und Geschirr aus dem 5. bis 7. Jahrhundert. In Tintagel seien mehr Gefässe aus dem frühen Mittelalter gefunden worden als an allen archäologischen Stätten Grossbritanniens zusammen, so Scutt.

Die Analysen der Forscher zeigen, dass die Waren aus dem gesamten Mittelmeerraum nach Cornwall verschifft wurden. Keramiken wie grosse, offene Schalen stammen aus der heutigen Südwesttürkei oder aus Zypern, Amphoren für Wein und Öl aus der Ägäis und Tunesien. Die Bewohner nutzten feine, teilweise dekorierte Trinkgläser aus Südwestfrankreich und Südspanien. «Alle Gefässe sind einzigartig und unterstreichen Tintagels hohe Stellung und bedeutende Rolle in internationalen Handelsnetzwerken in der Zeit nach dem Abzug der Römer», sagt Win Scutt.

Die Archäologen werten derzeit vor allem die Funde der vergangenen Jahre aus und vermessen die bereits komplett freigelegten Behausungen. Bis zu einem Meter dick sind die Mauern aus geschichtetem Schiefergestein. Das grösste Gebäude auf der teilweise künstlich begradigten Südterrasse war mindestens 15 Meter lang und 4 Meter breit und gegen eine Felswand gebaut. Daneben lag ein weiteres längliches Gebäude mit massiven Innen­stützen, hier fanden die Archäologen Hinweise auf einen Herd und Teile eines Kessels. Möglicherweise ist hier Metall verarbeitet worden.

Von den Gebäuden auf der südlichen Terrasse hatten die Bewohner der Siedlung eine grandiose Aussicht auf den Atlantik, die Siedlung liess sich gut verteidigen, die Halbinsel hatte nur einen schmalen Landzugang. Die gesamte Siedlung umfasste mehr als zwölf Hektaren.

Unterhalb der steilen Felsen lag der mit einer Mauer zur Siedlung hin abgetrennte Naturhafen mit einer grossen Höhle, ein idealer Lagerplatz für Waren. Eine weitere, künstlich verbreiterte Lagerhöhle befand sich auf dem Hochplateau. Bei Grabungen in den 1930er-Jahren waren Archäologen noch eher von einer Klosteranlage ausgegangen, jetzt halten sie einen Fürstensitz für wahrscheinlicher. «Insgesamt war es eine sehr dicht gebaute Siedlung, nirgends in Grossbritannien wurde aus dieser Zeit eine Siedlung dieser Grösse gefunden, nicht einmal London war so gross», sagt Scutt. Die Halbinsel könnte einst ein königlicher Sitz des Keltenreichs gewesen sein, mit weiteren Zentren in der Gegend der heutigen Regionen Cornwall und Dartmoor.

Man muss sich bei dieser Ausgrabung, die offiziell «Tintagel Castle Archaeological Research Project» heisst, an den Konjunktiv gewöhnen, schliesslich geht es auch um eine mögliche Verbindung zum sagenhaften König Britanniens, da gibt es auch Spekulationen.

Von Anfang an war eine Filmcrew der BBC für die Sendung «Digging for Britain» vor Ort, dort präsentierte die Archäologieprofessorin Alice Roberts die neuesten Ausgrabungsergebnisse. Auch sonst scheinen viele Menschen vor Ort gewillt zu sein, an die realen Hintergründe der Artus-Sage zu glauben. Eine bärtige Artus-Figur mit Schwert und Umhang prangt als stählerne und gleichzeitig doch seltsam geisterhaft gestaltete Skulptur hoch oben auf Tintagel, so als sei es nur eine Frage der Zeit, bis die Archäologen die nötigen Nachweise finden werden.

Schon jetzt ist der Ort ein Magnet für Touristen, angelockt durch die magischen Geschichten über Artus und sein mächtiges Schwert Excalibur, die Ritter der Tafelrunde wie Lancelot oder Parzival, die Geschichten über den Zauberer Merlin, den Heiligen Gral oder Erzählungen über die tragische Liebe von Tristan und Isolde. All die Geschichten veranlassten die Verantwortlichen des Touristenmagnets Tintagel vor zwei Jahren sogar, trotz des Protests von Historikern nahe der so getauften «Merlin-Höhle» das bärtige Gesicht des Zauberers in den Fels zu hauen.

Auf Tintagel waren die Zeiten weniger dunkel als gedacht. Das feine Geschirr belegt einen hohen Lebensstandard.

Der deutsche Mediävist Rudolf Simek zeigt sich hinsichtlich der Suche nach dem «historischen König Artus» skeptisch, er hält es eher für eine Obsession der Briten. Allerdings ist die Artus-Geschichte selbst tatsächlich sehr alt. Historisch könnte hinter dem Artus der frühmittelalterlichen Quellen ein keltisch-britischer Kleinkönig aus dem 6. Jahrhundert stehen, der insgesamt zwölf Schlachten gegen die angelsächsischen Einwanderer gewann und in lateinischen Quellen als Ambrosius Aurelianus bezeichnet wurde.

Erst im Jahr 1138 formte der Geschichtsschreiber und Geistliche Geoffrey of Monmouth mit seiner «Historia regum Brittanniae» (Geschichte der Könige Britanniens) das Bild des legendären Königs Artus und damit den nationalen Mythos der Briten, eine Heilsgeschichte mit dem König und seiner Ritterrunde im Zentrum, die wiederum mit der europäischen Geschichte geschickt verwoben war und die Herkunft der Briten von den Trojanern ableitete.

Immerhin erhellen die Ausgrabungen die Geschichte in den sogenannten Dark Ages, einer Zeit, als die römischen Besatzer Britannien verlassen hatten und die Bewohner den Angriffen der feindlichen Sachsen und Pikten ausgeliefert waren. Wenig war bislang über die dunklen Jahrhunderte bekannt, weder wie neue Herrscher das Machtvakuum der Römer füllten, noch wie isoliert die Inselbewohner international lebten.

Auf Tintagel waren die Zeiten weniger dunkel als gedacht. Das feine Geschirr belegt einen hohen Lebensstandard. Die zahlreichen Knochenreste auf diversen Müllkippen der Insel zeigen zudem, dass auf der Burg offenbar auch üppig gespeist wurde. Nicht nur Kalb, Schaf, Ziege kamen auf den Teller, sondern auch Austern und sogar Tiefseefisch wie Kabeljau. Offenbar blieb Tintagel einige Jahrhunderte lang ein kulturell hochstehender Ort, an dem nach Abzug der Römer Anfang des 5. Jahrhunderts die römische Sprache und die Kultur der Antike erhalten blieb.

Im vergangenen Sommer ­entdeckten die Forscher eine 60 Zentimeter lange, steinerne Fensterbank mit Inschriften. Der Stein ist der zweite mit Schriftzeichen darauf. Bereits 1998 war auf der östlichen Terrasse der sogenannte Artagnou-Stein gefunden worden, eine Schieferplatte aus dem 6. Jahrhundert. Auf der Tafel findet sich der Name Artognou als Teil einer Art Inschrift, den manche Forscher mit König Artus in Verbindung brachten. «Er hat aber nichts mit Artus zu tun», sagt Scutt.

Auch auf dem zweiten Stein fanden sich keine Hinweise auf Artus, dafür aber lateinische, griechische und keltische Wörter und christliche Zeichen. Experten der Universität London datierten ihn auf das 7. Jahrhundert. Anhand des Schreibstils vermuten Forscher einen kompetenten Schreiber mit christlichem Hintergrund, der mit dem Verfassen von Dokumenten und Büchern vertraut war.

Die Entdeckung dieses Steins stütze die Idee, dass Tintagel ein wichtiger, blühender Handelshafen und eine hochrangige Siedlung war, sagt Scutt. «Es könnte ein Sitz der Herrscher von Cornwall gewesen sein.» Es wäre, umtost von der mächtigen Brandung des Atlantiks, auf jeden Fall ein besonders würdiger Ort für einen König.

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